Von Kunduz nach Munster. Einsatzresümee der 2. Kompanie
Allgemeines Die 2./Panzergrenadierlehrbataillon 92 war von Juni 2011 bis Januar 2012 als Infanteriekompanie der Task Force Kunduz III (2./Inf TF KDZ (II/2011)) im Einsatz in Afghanistan. Sie war damit Teil des 26. sowie 27. DEU Einsatzkontingentes der International Security Assistance Force (ISAF). In diesem Beitrag werden in aller Kürze die taktische Einsatzbilanz, die Einsatznachbereitung der Kompanie und der Übergang in das Dienstgeschäft am Heimatstandort beschrieben.
Taktische Bilanz Die taktische Bilanz des Einsatzes der TF KDZ III, zu dem die 2. Kompanie einen entscheidenden Beitrag leisten konnte, lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:
Wir sind offensiv aber überlegt vorgegangen, waren häufig und zu unterschiedlichsten Zeiten außerhalb der Außen- und Vorposten und sind in die Tiefe des Raumes vorgestoßen. Wir haben mehrfach Kompanie- und Task Force-Operationen durchgeführt, bei denen bis zu 950 Soldatinnen und Soldaten (Deutsche, Afghanen, Belgier sowie Amerikaner) zwischen drei und neun Tagen ununterbrochen außerhalb von Vorposten im Chahar Darreh operierten. Damit haben wir dem Gegner die Möglichkeit der Initiative genommen. Nur ein einziges Mal wurden Kräfte der 2. Kompanie in einen Feuerkampf verwickelt, ansonsten waren die Insurgents gezwungen, auf ihre perfide Taktik der Verbringung versteckter Sprengfallen auszuweichen. Lediglich in drei Fällen ist es ihnen gelungen, IED-Strikes gegen Kräfte der TF KDZ durchzuführen: Einmal gegen Kräfte des Infanteriezugs Alpha, einmal gegen Kräfte des Panzergrenadierzugs Golf und einmal gegen einen Spähtrupp der Aufklärungskompanie. Im Vergleich zu der hohen Zahl an Sprengfallen, die durch eigene Truppe aufgespürt wurde, ist dies verhältnismäßig wenig: Allein durch die 2./Inf TF KDZ (II/2011) wurden im Einsatzverlauf siebzehn IEDs gefunden und kontrolliert gesprengt.
Lessons Identified/Lessons Learned Folgende fünfzehn grundlegende taktische Verhaltensweisen waren in der Rückschau für den Einsatzerfolg der 2./Inf TF KDZ (II/2011) in Afghanistan maßgeblich: (a) Tragen von Helm, Schutzweste, Splitterschutzbrille, Handschuhen, Handwaffe und Gehörschutz außerhalb gesicherter Bereiche [...]
Diese Verhaltensregeln, die Leistungen unserer Vorgänger und das nötige Quäntchen Glück haben wesentlich dazu beigetragen, dass wir fast den gesamten Distrikt Chahar Darreh ohne eigene Verluste nehmen konnten. In unseren 200 Tagen in Kunduz haben wir in jedem der über 70 Orte im Distrikt zumindest einmal eine abgesessene Patrouille zur Gesprächsaufklärung durchgeführt – in vielen Fällen öfter. Dieser Erfolg beruht im Übrigen nicht darauf, dass sich keine Insurgents mehr in Chahar Darreh befunden hätten: Auch wenn durch die Vorgängerkontingente und Spezialkräfteoperationen bereits eine massive Schwächung der gegnerischen Kräfte erfolgt ist, haben Informationen des Militärischen Nachrichtenwesens und die IED-Lage klar gezeigt, dass die Insurgents immer wieder nach Angriffsmöglichkeiten gesucht haben. Zuletzt führte der massive Druck der TF KDZ zu einem vom amerikanischen Journalisten Neil Shea in der »Stars and Stripes« bezeichneten »Squeeze Effect« – einem Ausweichen der feindlichen Kräfte in den Nachbardistrikt (siehe hierzu „Ready to fight. German soldiers´ Afghan mission shifts from reconstruction and training to engaging enemy“: http://www.stripes.com/ready-to-fight-german-soldiers-afghan-mission-shifts-from-reconstruction-and-training-to-engaging-enemy-1.165410 )
Weitergabe von Einsatzerfahrungen "Erfahrungen nützen gar nichts, wenn man keine Lehren daraus zieht“ (Friedrich der Große) Aus der Teilnahme an einem Auslandseinsatz in Afghanistan ist auch die Verantwortung erwachsen, wichtige Informationen nicht nur an die eigenen Nachfolger, sondern ebenso an den Führernachwuchs wie auch an andere Multiplikatoren innerhalb und außerhalb unserer Streitkräfte weiterzutragen. Einsatzerfahrungen schilderte ich in Vorträgen mit verschiedenartigen Schwerpunktsetzungen u.a. vor den Kräften des »Team Heimat«, der TF Mazar-E-Sharif und Angehörigen der Patengemeinde, den Feldwebelanwärtern des Verbandes, Studierenden der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg, Teilnehmern des Kompaniechef-Lehrgangs am Ausbildungszentrum Panzertruppen in Munster und Generalstabsoffizieren an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. Selbst verfasste Beiträge für Truppengattungszeitschriften, die Zeitschriften der Universitäten der Bundeswehr in Hamburg und München, die englisch- sowie deutschsprachige Ausgabe der Broschüre »Aus dem Einsatz lernen« sowie das »Leutnantsbuch 2012« für den 82. Offizieranwärterjahrgang ergänzten diese Vorträge und haben hoffentlich zum nachhaltigen Wirken einiger unserer Erkenntnisse und dem Erhalt eines »Kontingentgedächtnisses« beigetragen. Während des im Mai 2012 vom Heeresführungskommando durchgeführten »Auswerteseminars Heer« sowie des »Auswertegesprächs Wehrmaterial« konnte durch den Austausch in Arbeitsgruppen Handlungsbedarf aufgezeigt und in die jeweiligen Verantwortungsbereiche eingesteuert werden. Wir erfuhren zudem auch nach Einsatzende regionale und überregionale journalistische Aufmerksamkeit und konnten auch hier Teile unserer Einsatz- bzw. Rückkehrerfahrungen weitergeben.
Übergang in den Garnisonsdienst Die 2./Panzergrenadierlehrbataillon 92 hat die Einsatznachbereitung abgeschlossen und den Übergang in den »normalen« Dienstbetrieb am Standort Munster vollzogen. Nach Ende des Einsatzes gab es für die Angehörigen der 2./Inf TF KDZ (II/2011) zunächst einen dreiwöchigen Urlaubsblock, dem das Einsatznachbereitungsseminar und eine Phase, in der etwa ein Drittel der Kompanieangehörigen Präventivkuren in Anspruch nahmen, folgte. Diese Zeit, in der auch Materialübernahmen und die Rückgliederung in die ursprüngliche Kompaniestruktur sowie der Umzug der Kompanieführung in ein Funktionsgebäude nach dem sog. »Seedorfer Modell« vollzogen wurden, nutzen wir zudem für intensive Sportausbildung und den Nachweis der Individuellen Grundfertigkeiten (IGF). Mitte März kehrte auch der an die TF Mazar-E-Sharif abgestellte Infanteriezug aus dem Urlaub zurück und die Kompanie konnte nach einer kurzen Synchronisationsphase geschlossen in den ersten größeren Ausbildungsblock einsteigen. Begleitet wurde diese Phase von einer Vielzahl an Personalwechseln auf allen Ebenen, zu der u.a. auch die Übergabe des Panzergrenadierlehrbataillons 92 von Oberstleutnant K. an Oberstleutnant N. sowie die Wechsel zweier Kompaniechefs zählten. Der erste Themenschwerpunkt für die Kampfkompanien des Panzergrenadierlehrbataillons war der »Kampf in urbanem Umfeld«. Das Bataillon konnte hierbei auf umfangreiche Erfahrungen aus dem Jahre 2009 zurückgreifen und nach einer relativ kurzen Phase, in der die Kompaniechefs sowie Zugführer die theoretischen Grundsteine der Ausbildung aufgefrischt hatten, mit der Stationsausbildung zu den Themen (1) Eindringen in ein Gebäude, (2) Kampf von Raum zu Raum, (3) Kampf von Stockwerk zu Stockwerk sowie (4) Vorgehen im bebauten Gelände beginnen. Diese wurde zunächst im sog. Tapedrill-Verfahren am Standort und anschließend in Übungshäusern durchgeführt. Das bataillonsseitig gegebene Versprechen, in den ersten Monaten nach Einsatzende keine Übungsplätze durchzuführen, wurde gehalten und die Möglichkeit genutzt, in Häuserkampfanlagen in Bergen/Schierenbleken sowie Wesendorf auszubilden. Auf Grund der vorhandenen Erfahrungen und des zurückliegenden Einsatzes konnte in der 2. Kompanie bereits nach zwei Monaten die Ausbildungshöhe »Zug« erreicht werden. Vor dem Ende Juli stattfindenden Jahresurlaub wurde noch eine einwöchige Bildungsfahrt an die französische Normandieküste durchgeführt, an der die Offiziere und Unteroffiziere der Kompanie teilnahmen. Diese Weiterbildung zum »D-Day – 06.06.1944« stellte den Abschluss einer kompanieinternen, sich über drei Jahre erstreckenden Politischen Bildung zum Thema »Widerstand im II. Weltkrieg« dar, in dessen Rahmen das Führerkorps bereits u.a. einen Kinobesuch zu »Operation Walküre« durchgeführt und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand und das Ehrenmal der ermordeten Juden Europas in Berlin sowie die Wolfsschanze in Polen besucht hatte. Die Weiterbildung markierte gleichzeitig das Ende meiner Chefzeit.
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Autor: Marcel Bohnert
erschienen in: Der Panzergrenadier, Heft 22, Ausgabe 2/2012, Seiten 64 bis 66
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