200 Tage Kunduz. Herausforderungen als Chef einer Kampfkompanie

Vortrag auf der Pressekonferenz der Karl-Theodor-Molinari-Stiftung anlässlich der Publikation des Buchbandes »Soldatentum« im Amt des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages am 26. Juni 2013.

Prolog: Oktober 2010, Provinz Kunduz, Afghanistan Schweißgebadet sitze ich in einer Transall,die im Sturzflug das Airfield in Kunduz ansteuert. Während es auf dem Lufttransport nach Mazar-E-Sharif noch recht heiter zuging, hängen die Teilnehmer dieses Fluges in bedrückender Stille ihren Gedanken nach. Die Gesichter der sich eng gegenüber sitzenden Soldaten sprechen Bände. Einige haben ihren Helm unter den Sitz geschoben, um bei möglichem Feindbeschuss geschützt zu sein. Es geht nach Kunduz, in den »Kessel«, wie die Region mittlerweile von den deutschen Truppen vor Ort bezeichnet wird. Die Zeiten von »Bad Kunduz« waren lange vorbei. Es ist 2010, das Jahr, in dem die Bundeswehr hier die schwersten Gefechte ihrer Geschichte führt. Ich befinde mich mit meinem Kommandeur und einigen weiteren Kompaniechefs auf einer Erkundungsreise. In knapp acht Monaten übernehmen wir hier die Verantwortung. Nach einer harten Landung öffnet sich die Laderampe der Transall. Die glühende Sonne durchflutet den Frachtraum, die Soldaten booten in zwei Reihen nach hinten aus und ein beißender Geruch aus Benzin und Staub kriecht sofort in meine Nase. Vorbei an russischen Hubschrauberwracks und bewaffneten Guards geht es ohne viel Zeit zu verlieren zu aufgefahrenen Patrouillenfahrzeugen, die uns in zügiger Fahrt in das deutsche Feldlager bringen. Einige Stunden später befinden wir uns im Tactical Operations Centre, von dem aus das Gesamtgeschehen des deutschen Gefechtsverbandes koordiniert wird. Der Kommandeur funkt mit dem Kompaniechef der 2. Kompanie, der in den frühen Morgenstunden mit der Gesprächsaufklärung im Unruhedistrikt Chahar Darreh begonnen hat. Nach wenigen Minuten hört man ihn schreien: „Stehen im Feuerkampf, ich wiederhole, stehen im Feuerkampf!“. Wir werden des Raumes verwiesen. Es gilt sich nun zu konzentrieren und den »Tourismus« zu unterbinden, der einzusetzen droht, sobald sich sicherheitsrelevante Zwischenfälle ereignen. Zeit vergeht, ohne dass wir ein klares Lagebild erhalten können. Fragmente lassen uns erahnen, was sich »draußen« gerade ereignet: Die Panzerhaubitze 2000, ein Artilleriegeschütz, beginnt zu feuern, eine Drohne wird gestartet, amerikanische Rettungshubschrauber heben ab. Wir erfahren erst später, dass ein feindlicher Scharfschütze während des Gefechtes einen jungen deutschen Fallschirmjäger schwer verwundet hat. Ein Schulterdurchschuss. Nicht der erste und auch nicht der letzte Angehörige der Kompanie, dessen Einsatz durch eine Verwundung vorzeitig beendet werden muss.

Einführung (Anrede an die Teilnehmer) Als ehemaliger Chef einer Kampfkompanie in Kunduz möchte ich Ihnen heute einen kurzen Einblick in das geben, was in den letzten Jahren die Debatte um den Stellenwert und das Selbstbild des Soldaten neu beflügelt hat. 200 Tage Afghanistan lassen sich natürlich nicht in zehn Minuten pressen. Ich möchte daher lediglich einen Impuls setzen und schlaglichtartig einige Herausforderungen aufzeigen, die einem als Kompaniechef mit einem solchen Auftrag gegenüber stehen und die es zu bewältigen gilt. In der eben genannten Kategorie von Professor Carlo Masala (Anmerkung: Vorredner) ist dies ein Vortrag – in Weiterführung trifft dies auch für meinen Beitrag in dem Buchband »Soldatentum« zu – welcher sich insbesondere auf der Mikroebene, also dementsprechend auf praktischer Ebene bewegt. Die Sicht, die ich Ihnen hier aufzeige, ist die Sicht der Basis, welche wir innerhalb der Kampftruppe auch als »Schlammzone« bezeichnen.

Einsatzvorbereitung Mitte 2010, als ich meine Kompanie übernommen habe, erging etwa zeitgleich der Auftrag, ca. zwölf Monate später mit eben dieser Kompanie nach Afghanistan zu verlegen. Ich hatte damals natürlich kaum eine Ahnung was da tatsächlich auf mich zukommen würde. Ich war Angehöriger eines Verbandes, der noch nicht geschlossen in Afghanistan eingesetzt war, und dementsprechend hatte ich nur wenige einsatzerfahrene Soldaten in meiner Kompanie, es war gerade einmal eine Hand voll. Zudem beginnt die Einsatzvorausbildung in der Bundeswehr offiziell erst sechs Monate bevor man in das Einsatzland verlegt. Das bedeutet, dass es noch eine Fülle anderer Aufträge gab, die im Vorhinein abgearbeitet werden mussten. Es haben sich für mich zwei größere Herausforderungen in der Einsatzvorbereitung dargestellt: Zum einen – das hatte ich gerade schon angedeutet – ging es um die Ausbildung meiner Soldaten. Meine Kompanie war zu dieser Zeit in Bezug auf das klassische Gefecht, die Operation verbundener Kräfte sehr gut ausgebildet; aber in Afghanistan stehen wir einer besonderen Konfliktform gegenüber. Diese wird von Herfried Münkler als »Neue Kriege« bezeichnet; eine Konfliktform, in der wir mit asymmetrischen Risiken und einem dynamischen und sehr komplexen Einsatzumfeld konfrontiert werden. Neben unserer kämpferischen Versiertheit, die Soldaten selbstverständlich nach wie vor benötigen, erfordert dieses Umfeld vom Einzelnen noch ein deutlich darüber hinaus gehendes Fähigkeitsprofil, aber darauf komme ich gleich noch einmal zu sprechen. Eine weitere Herausforderung dieser Einsatzvorbereitung war das innere Gefüge der Kompanie. Ich habe in Afghanistan, wenn die Kompanie verstärkt war, bis zu 250 Soldaten taktisch geführt, aber nur ca. 30 Prozent dieser Soldaten waren organisch meiner Kompanie im Heimatland zugehörig. Es galt also hier in der Einsatzvorbereitung, Soldaten aller Couleur, Truppengattungen und Organisationsbereiche zusammen zu führen. In meiner Einsatzkompanie gab es zeitweise auch Luftwaffenangehörige sowie Angehörige der Marine, die genauso Patrouillen im Unruhedristrikt gelaufen sind, wie alle anderen auch. In der Einsatzvorbereitung seinen taktischen und natürlich auch seinen zwischenmenschlichen »Stempel« aufzudrücken, war nicht ganz so einfach, denn auch innerhalb des Militärs – und das ist mir erst in dieser Phase bewusst geworden – gibt es eine gravierende Anzahl unterschiedlicher Mentalitäten und tatsächlich auch viele Kulturunterschiede.

Einsatz In Afghanistan selbst lag der klare Fokus natürlich auf dem taktischen Operieren. Zunächst galt es, sich mit dem Umfeld zu arrangieren, das heißt mit den Wetterextremen, dem spartanischen Leben im Felde, der behelfsmäßigen Verpflegung und den zahlreichen weiteren Entbehrungen, die Soldaten in solch einem Einsatz in Kauf nehmen. Vorrangig war die Operationsführung natürlich an der Bedrohungslage orientiert, die sich in einer Bandbreite von offenen Gefechten bis hin zu latenteren Bedrohungen durch IED´s, also versteckte Sprengfallen, oder auch Innentäter darstellt. In dem Counterinsurgency-Ansatz, der Strategie, nach der wir in der Aufstandsbekämpfung in Afghanistan als Soldaten handeln, ist es so, dass ein Soldat in der Lage sein muss, in Sekundenbruchteilen vom Aufbauhelfer, Schlichter, Beschützer und Ordnungshüter in die Rolle eines Kämpfers zu wechseln und das Ganze auch wieder in die andere Richtung. Das ist nicht einfach. Gerade nach sicherheitsrelevanten Zwischenfällen, wie bspw. Ansprengungen von Fahrzeugen, ist es nicht leicht Soldaten zu erklären, warum sie jetzt wieder in einen »Wave and Smile«-Einsatz übergehen und der Bevölkerung, in der sich der Feind letztlich befindet, wieder zuarbeiten und mit ihr zusammenarbeiten sollen. Neben dieser diffusen Bedrohungslage stellte mich erneut das innere Gefüge der Kompanie vor eine Herausforderung: Zum einen habe ich festgestellt, dass die Soldaten sehr eng zusammengewachsen sind. Es hat sich eine eigene Kampfgemeinschaft geformt. Diese war weniger durch politische Vorgaben motiviert, sondern durch die enge Verbundenheit zu den jeweils anderen Soldaten. Es hat sich hier in der Kompanie ein sehr klares, eindeutiges Selbstverständnis herausgebildet, und das hat sich über Grenzen der Laufbahnen, des Geschlechts oder der Truppengattungen hinaus etabliert und diese Grenzen verschwimmen lassen. Zeitgleich hat sich eine Entwicklung eingestellt, die sicherlich etwas kritischer zu beurteilen ist, und zwar die Herausbildung eines Eliten- oder auch Sonderbewusstseins. Meine Soldaten haben eine sehr klare Abgrenzung zwischen sich selbst und denen vorgenommen, die nicht in der »Kampfzone« agiert haben. Hintergrund hierfür ist, dass lediglich etwa ein Drittel der Bundeswehrsoldaten in Afghanistan regelmäßig die Feldlager verlassen. Dieser Umstand bietet natürlich ein breites Feld für Spannungen, Differenzen und auch eine Wertekollision. Diese zwei Welten sind in unserem Einsatz häufig aufeinander getroffen. Es gibt da einige wirklich kuriose Gegebenheiten, die im Nachhinein mit einem Augenzwinkern betrachtet werden können, auf welche ich aus Zeitgründen aber leider nicht näher eingehen kann. Es ist allerdings schon so, dass man als Chef ausgleichend wirken musste, damit sich die Konflikte nicht zu ernsthaften Spannungsfeldern entwickeln.

Einsatznachbereitung Dieses klare Selbstverständnis, von dem ich gesprochen habe, ist bei der Rückkehr nach Deutschland weitgehend oder zumindest in Teilen einer gewissen Leere gewichen. Zum einen ist das Gefüge, das sich in Afghanistan geformt hat, aus verschiedenen Gründen zerfallen – zu diesen Gründen zählen Versetzungen, Entlassungen sowie andere Aufgaben und Tätigkeitsfelder. Zum anderen waren viele Soldaten in der Anfangsphase durch den Routinedienst, den sie an ihrem Standort durchführen mussten, recht ernüchtert und haben eine gewisse Bedeutungslosigkeit bzw. Unwichtigkeit in ihrer Aufgabe wahrgenommen. Zudem hat die Reflexionsphase eingesetzt: Auch jetzt noch – etwa eineinhalb Jahre nach Einsatzende – sind viele Angehörige meiner ehemaligen Kompanie noch immer damit beschäftigt, diesen Einsatz für sich selbst aufzuarbeiten. In dieser Phase ist es als Kompaniechef wichtig, immer wieder den Sinn des Einsatzes zu erklären und somit eine Hilfestellung dafür zu bieten, dass die Opfer und die Anstrengungen, die die Soldaten erbracht haben, nicht als umsonst empfunden werden. Das ist nicht immer ganz einfach. Das führt mich auch schon zu meinem abschließenden Exkurs: Was ebenfalls wahrgenommen und immer wieder eingeklagt wurde – das haben wir ja bereits bei meinen Vorrednern gehört (Anmerkung: Dr. Reinhard Möstl, Hellmut Königshaus, Oberst Ulrich Kirsch und Prof. Dr. Carlo Masala) – ist eine gefühlte bzw. wahrgenommene Distanz; in erster Priorität zu denen, die diese Erfahrungen nicht direkt geteilt haben, in zweiter Priorität aber eben auch zu einer besonderen Gruppe, die diese Erfahrungen nicht geteilt hat, und das ist letztlich – auf einer etwas abstrakteren Ebene formuliert – die Gesellschaft. Diesbezüglich zitiere ich abschließend einen Ausschnitt aus meinem Buchbeitrag:

Epilog: März 2012, Berlin, Deutschland Einige Wochen nach meiner Einsatzrückkehr sitze ich mit zwei Bekannten in einem Straßencafé und genieße die ersten Sonnenstrahlen. Das Thema unserer Unterhaltung wird auf den Afghanistan-Einsatz gelenkt und ich berichte, dass einer der Soldaten, die am Karfreitag 2010 unbeabsichtigt sechs afghanische Armeeangehörige erschossen haben, in meinem Verband dient und ich ihn schon sehr lange kenne. Die beiden schauen sich mit rollenden Augen an und fragen verständnislos: „Wie kann denn so was passieren?!“ Ich spüre, wie mein Puls hochschießt und lasse verärgert Worte darüber fallen, was ich von solchen Urteilen aus dem heimischen Wohnzimmersessel halte. Daraufhin schildere ich den Hergang des bedauerlichen Vorfalls – die schweren Gefechte und Gefallenen des Tages, die überraschende Alarmierung der Reserve, die Warnmeldungen über Selbstmordattentäter, die Rückfragen per Funk, die Reaktion der Afghanen auf die Warnschüsse, die Presseberichterstattung sowie die nervenzehrenden juristischen Ermittlungen. Eine der jungen Frauen nimmt einen Schluck Kaffee, lehnt sich zurück und sagt: „Naja, gut, aber Mitleid mit dem Soldaten muss man jetzt ja auch nicht haben. Er hat ja schließlich dafür unterschrieben.“

 

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Autor: Marcel Bohnert

erschienen in: Der Panzergrenadier, 34, 2013, Seiten 25 bis 28

Volltext: http://fkpg.de/wp-content/uploads/200-Tage-Kunduz-DPG-2-2013-ReG.pdf (Transkription: Sandra Heinemann)

Audiodatei: http://edoc.sub.uni-hamburg.de/hsu/volltexte/2014/3044/ (Audio-Aufzeichnung: Dr. Eric Chauvistré)

Illustration: Nathalie Falkowski, in: Armee im Aufbruch (Miles-Verlag, 2014)

 

 

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