Ausbildung der Infanteriekompanie Kunduz. Gedanken zur Vorbereitung auf das reale Gefecht in Afghanistan

Allmählich scheint sich auch im Bild der deutschen Öffentlichkeit das durchzusetzen, was für viele der im afghanischen Kunduz eingesetzten Soldatinnen und Soldaten schon seit einigen Jahren bittere Realität ist: Deutsche stehen hier im Kampfeinsatz und liefern sich Tag für Tag Scharmützel mit Aufständischen. Das kostet Blut. Die Gefahr von IED´s (Improvised Explosive Devices) und komplexen Hinterhalten ist allgegenwärtiger Begleiter im »Indianerland«, wie die durch gegnerische Kräfte gefährdeten Geländeabschnitte von der kämpfenden Truppe bezeichnet werden. Neben im Gefecht Gefallenen hat die Bundeswehr in Afghanistan inzwischen auch eine – in der Heimat immer noch unzureichend wahrgenommene – Vielzahl an Verwundeten zu beklagen.

Auftrag: Einsatz in Kunduz Was aus Sicht eines studierenden Offiziers noch weit entfernt und surreal erscheinen mag, kann schneller Realität werden, als der Einzelne sich das heute womöglich vorstellen kann: Ob Fallschirmjäger, Pionier, Aufklärer, Artillerist, Fernmelder, Logistiker oder Sanitäter – ein sechsmonatiger Einsatz im Kunduz, mit allen Entbehrungen, Gefahren und Herausforderungen, kann nach Studienende fast jeden Heeresoffizier und darüber hinaus bestimmte Kameraden anderer Organisationsbereiche betreffen. Mich hat die Thematik »Afghanistan« als Einheitsführer sehr zügig ereilt: Bereits mit der Übernahme meiner Panzergrenadierkompanie erging der Auftrag zur Aufstellung und Ausbildung einer verstärkten Kampfkompanie für die von der Politik teilweise als Ausbildungs- und Schutzbataillon bezeichnete Task Force Kunduz. Als Zugführer, stellvertretender Kompaniechef bzw. Kompanieeinsatzoffizier und in diversen Spezialverwendungen kann ein solcher Einsatz für Offiziere sogar deutlich früher nach Studienende erfolgen. Die als Kompaniechef vor einem liegende Aufgabe ist die schrittweise Zusammenführung von etwa 200 Frauen und Männern unterschiedlichster Truppengattungen und deren Vorbereitung auf den Einsatz und reale Gefechtssituationen. Neben den auch für Afghanistan sehr wichtigen Ausbildungsanteilen des klassischen Gefechtes verbundener Waffen ist es hierbei notwendig, Szenarien im Rahmen der übergreifenden Counterinsurgency(COIN)-Strategie zu meistern. Dies ist nicht immer einfach und es gilt, bei seinem unterstellten Bereich durch Informationen und vielfältiges Üben unter Einbeziehung der Taschenkarte ISAF Verhaltenssicherheit zu erzeugen. Hinzu kommt die Abbildung spezieller in Afghanistan enorm wichtiger Ausbildungsinhalte, wie das Verhalten unter IED-Bedrohung, die Anforderung von Sanitätshelikoptern oder der auf- und abgesessene Kampf im Rahmen urbaner Operationen. Erforderlich ist hierfür oft die selbständige Einarbeitung in für viele Führer neue, Afghanistan-spezifische Themen und Standard Operation Procedures sowie die anschließende Planung, Organisation und Durchführung von Ausbildungen. Natürlich darf auch die Schulung an speziellen Waffensystemen wie der FLW 100/200, der GraMaWa, dem G3 DMR oder dem G82 nicht zu kurz kommen. Organisationsbedarf ergibt sich daneben vor allem hinsichtlich einer Vielzahl von parallel anfallenden Erfordernissen wie dem schrittweisen Zulauf von Unterstützungskräften, dem Herstellen des Impfstatus´, der Erstellung von Auslandsakten, dem Umgang mit Materialengpässen sowie lehrgangsgebundenen Abwesenheiten, dem Filtern einer hohen Informationsdichte von Lessons Learned-/Best Practice-Papers, einer eingeschränkten Zuweisung von Übungsräumen und Munition, Einweisungen in Fernmelde- und Führungsmittel sowie das Absolvieren von Leistungen im Rahmen der Individuellen Grundfertigkeiten. Um sich nicht in Details und Parallelaufträgen zu verlieren, ist hier eine klare Schwerpunktsetzung erforderlich! Ausgesprochen hilfreich ist die Nutzung von direkten Kontakten seines unterstellten Bereiches in andere Verbände, durch die z.B. eingeschränkt verfügbares Material und Gerät abseits von bürokratischen Mechanismen temporär für eigene Zwecke nutzbar gemacht werden kann.

Erkundung in Afghanistan Wie eine erste Erkundung und eine damit einhergehenden Begleitung der derzeitigen Kompaniechefs der beiden Infanteriekompanien, zu der Aufenthalte an neuralgischen Geländepunkten wie dem Polizeihauptquartier, den Höhen 431 und 432 sowie J92 in Kunduz zählten, ergeben hat, erfolgt die Planung und Durchführung von Operationen in der Kunduz-Region derzeit vor allem auf Kompanieebene. Im Falle einer Feindberührung ist der Kompaniechef in der taktischen Gefechtsführung deshalb voll gefordert. Diese umfasst neben der Führung der eigenen Kampfzüge u.a. die Anforderung bzw. Koordination und den Einsatz von Luftnahunterstützung, Steilfeuer, Scharfschützen, Aufklärungsdrohnen und Sanitätskräften. Darüber hinaus erfolgt häufig eine Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Route Clearance Package und natürlich den afghanischen Sicherheitskräften wie der Afghan National Police oder der Afghan National Army. Auffällig erschien während der Erkundung eine gewisse Spannung zwischen den außerhalb und innerhalb des Feldlagers eingesetzten Soldatinnen und Soldaten. Von den knapp 1.500 im Kunduz stationierten Deutschen verlassen etwa 80 Prozent das Feldlager nur für ihren Hin- und Rückflug in das bzw. aus dem Einsatzland. Abgesehen von der 2010 vom damaligen Bundesminister der Verteidigung eingeführten Gefechtsmedaille gibt es keinerlei Unterscheidungskriterien – insbesondere keine finanziellen – zwischen denjenigen, die täglich unmittelbar ihr Leben riskieren und denjenigen, die ihr berechtigtes Dasein im Feldlager fristen. Hier erscheint eine differenzierte Betrachtung angebracht, um die entstehenden Wogen zu glätten und zur Versöhnung von aktiven »Kämpfern« und »Drinnies« beizutragen. Was vor allem erforderlich erscheint, ist eine Anerkennung dessen, was Deutsche im Felde leisten. Die bestmögliche Unterstützung der kämpfenden Truppe mit allen geeigneten und erforderlichen Mitteln muss zudem oberstes Gebot sein und daher bspw. auch eine unter teilweise fragwürdigen Argumenten zurückgehaltene Verlegung von Kampfpanzern Leopard nach Afghanistan ernsthaft in Betracht gezogen werden.

Ausblick Die Entscheidung für den Soldatenberuf stellt heute – mehr denn je in der Geschichte der Bundeswehr – für viele Vorgesetzte die Verantwortung für im realen Gefecht agierende Soldaten dar. Kein hieran beteiligter Soldat wird unverändert aus seinem Einsatz zurückkehren. Das wird unseren Beruf – den des Offiziers – und letztendlich die gesamte Bundeswehr entscheidend prägen.

 

_____________________________________________________________________

Autor: Marcel Bohnert

erschienen in: Univok, Zeitschrift des Studentischen Konvents der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg, 2011, 1, Seiten 31 bis 32

http://www.hsu-hh.de/konvent/index_0e9PlLDeghCI4U7Q.html

 

 

Eigene Website, kostenlos erstellt mit Web-Gear

Verantwortlich für den Inhalt dieser Seite ist ausschließlich der Autor dieser Webseite. Verstoß anzeigen