Erkundung: Airfield Termez, Usbekistan, Juni 2011

Geschafft sitze ich mit anderen Soldatinnen und Soldaten am Airfield der usbekischen Grenzstadt Termez. Den hiesigen Bundeswehr-Stützpunkt steuern alle deutschen Kontingentangehörigen an, bevor sie nach Afghanistan eingeflogen werden und wenn sie das Land wieder Richtung Heimat verlassen. Hinter uns liegt eine weitere Erkundungsreise, die wir wenige Wochen vor unserem Einsatzbeginn als Task Force Kunduz III zu unseren direkten Vorgängern unternommen haben. Wir wurden in aktuelle taktische Entwicklungen eingewiesen und haben letzte Informationen über die Situation im Einsatzland eingeholt. Unser Aufenthalt wurde durch den Tod von Hauptmann Markus Matthes überschattet, der einige Tage vor unserer Ankunft durch einen IED-Strike [IED: Improvised Explosive Device, behelfsmäßige Sprengvorrichtung; IED-Strike: Anschlag mit versteckter Sprengfalle] im Unruhedistrikt Chahar Darreh sein Leben verlor. Die beschädigten Gefechtsfahrzeuge wurden geborgen und waren noch für einige Tage am Lagerzaun des Feldlagers sichtbar. Das war nun die neue Taktik der Aufständischen im Norden Afghanistans. Noch im letzten Jahr hatten sie sich offenen Gefechten mit ISAF [International Security Assistance Force, Bezeichnung der internationalen Schutztruppe in Afghanistan von 2001 bis 2014; seit 2015: Resolute Support] gestellt, jetzt gingen sie mehr und mehr zu perfiden Angriffen mit versteckten Sprengfallen über. Eine veränderte Bedrohungslage, die es auch meinen Soldatinnen und Soldaten in den letzten Tagen ihrer Ausbildung noch einmal aufzuzeigen galt. In Gedanken versunken gleiche ich Notizen ab und stelle mir vor, wie es hier wohl in weniger als einem Monat mit meiner Kompanie aussehen würde. Währenddessen betritt ein älterer Stabsoffizier den Warteraum und fordert alle Anwesenden dazu auf, am Rande des Flugfeldes anzutreten. Wir schauen uns etwas verwundert an, verpacken dann aber zügig unsere Ausrüstung und folgen wie alle Anderen seiner Aufforderung. Einige Minuten später erscheint er erneut und teilt uns mit, dass er uns nun auf das Rollfeld führen würde. Wir sind noch immer verwundert, marschieren aber wie befohlen einige hundert Meter auf das offene Gelände hinaus. Als ich dort zwei sich gegenüberstehende Flugzeuge sehe, wird mir plötzlich klar, warum wir uns gerade in einer Formation aus über 100 Soldatinnen und Soldaten befinden, die sich in Richtung dieser Flugzeuge bewegt. Offenbar bemerken dies auch die meisten Anderen, denn es wird plötzlich bedrückend still. Die Erkenntnis, dass wir in Kürze das Ehrenspalier bei einer Totenüberführung stellen würden, steigt in uns auf. Anfang Juni hatte ein gewaltiges IED mit über 200 kg Sprengstoff einen Schützenpanzer Marder in der Provinz Baghlan zerrissen und dabei den dreiundzwanzigjährigen Kraftfahrer, Oberstabsgefreiten Alexej Kobelew, getötet sowie fünf weitere Besatzungsmitglieder zum Teil schwer verwundet. Nun stehen wir in Termez und erweisen dem Gefallenen die letzte Ehre. Wir heben unsere Hand zum militärischen Gruß, als sein Sarg von einer Transall in eine Airbus-Maschine überführt wird. Er wird mit uns zurück nach Deutschland fliegen. Wir verlassen den Flughafen in Köln-Wahn auf der einen Seite. Aufgeregt winkende Angehörige nehmen hier freudig strahlend ihre Rückkehrer in die Arme. Sein Sarg wird den Flughafen an einer anderen Stelle verlassen. Abseits von Öffentlichkeit und Medienrummel werden ihn dort Hinterbliebene in Empfang nehmen.

 

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Autor: Marcel Bohnert

Textausschnitt aus dem Beitrag: "Extremerfahrungen als Zerreißprobe. Zum Wandel der Streitkräftekultur durch den Einsatz in Afghanistan."

erschienen in: Uwe Hartmann/Claus von Rosen (Hrsg.)(2013): Jahrbuch Innere Führung 2013. Die Wissenschaften und ihre Relevanz für die Bundeswehr als Armee im Einsatz. Miles-Verlag: Berlin, Seiten 327 bis 344.

Illustration: Nathalie Falkowski, in: Armee im Aufbruch (Miles-Verlag, 2014)

 

 

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