Lehrgang Counter-IED (Train the Trainers) in Kroatien
Allgemeines Angesichts der in verschiedenen Einsatzländern vorherrschenden Bedrohungslage durch behelfsmäßig angefertigte Sprengvorrichtungen – sog. Improvised Explosive Devices (IED) – organisiert das Allied Command Transformation (ACT) eine Reihe unterschiedlicher Counter-IED Lehrgänge in NATO-Mitgliedstaaten. Ein Offizier und zwei Portepeeunteroffiziere des Panzergrenadierlehrbataillons 92 hatten die Möglichkeit, an einem speziell für den Afghanistan-Einsatz konzipierten, zweiwöchigen Kurs (Ausbildung der Ausbilder) in Kroatien teilzunehmen.
Rahmenbedingungen und Organisation Nach fünf Stunden Flug von Hannover mit einem Zwischenstopp in Frankfurt erreichten wir Zagreb, die schöne Hauptstadt Kroatiens. Zum Sightseeing blieb allerdings keine Zeit, da wir bereits erwartet wurden und nach einer kurzen Personalienfeststellung mit mehreren Kleinfahrzeugen in das etwa 90 Autominuten südwestlich gelegene DUGA RESA verlegten. In dieser etwas abgelegenen Ortschaft bezogen wir ein Zwei-Sterne-Hotel, das inmitten landwirtschaftlich genutzter Felder und Berge lag und mittelalterlich eingerichtet war. Zum Abendbrot im Speisesaal trafen wir bereits weitere Lehrgangsteilnehmer und wurden dem von der NATO gesandten hauptverantwortlichen Offizier aus Ungarn vorgestellt. Am nächsten Morgen stand um 0800 Uhr der Bus bereit, der uns in eine Kaserne nach KAMENSKO fuhr. Auf dem Weg dorthin konnte man an einigen Häusern noch die Spuren des Kroatien-Krieges erkennen. Die Kaserne wurde seinerzeit von Serben geführt und KAMENSKO durch die Kriegshandlungen stark beschädigt. Trotz des etwa fünfzehn Jahre zurückliegenden Kriegsendes hatte sich die Ortschaft noch nicht vollständig erholt und viele der während der Kampfhandlungen entstandenen Zerstörungen waren noch immer gegenwärtig. Zuständig für unsere Ausbildung war ein in der KAMENSKO-Kaserne stationiertes, kroatisches Pionierbataillon. Im Unterrichtsraum standen Kaffee und kleinere Snacks für uns bereit. Zudem waren die Tische mit Willkommens-Broschüren und dem Dienstplan der folgenden zwei Wochen ausgestattet. Im Hörsaal sammelten sich etwa 30 Soldaten aus verschiedenen Nationen. Es waren neben uns Deutschen auch Spanier, Finnen, Belgier, Bulgaren, Tschechen, Niederländer, Kroaten und US-Amerikaner – vom Feldwebel bis zum Oberst – anwesend. Die im Rahmen des „Inprocessing“ vorgestellten Ausbilder waren sehr erfahrene, ehemalige Special Forces-Mitglieder aus den amerikanischen und britischen Streifkräften, die mittlerweile für eine von der NATO engagierte Zivilfirma arbeiteten. Ihre Prägung durch zahlreiche intensive Einsätze war deutlich erkennbar. Dennoch hatte keiner von ihnen seinen Humor verloren und sorgte stets für ein angenehmes Ausbildungsklima. Das Ziel des Lehrganges war die Befähigung zur Planung und Durchführung eigener C-IED-Ausbildungen in der entsendenden Nation. Lehrgangsvoraussetzungen waren, ähnlich wie für andere NATO-Lehrgänge in diesem Bereich, ein Sprachleistungsprofil in Englisch von mindestens 2222 sowie eine abgeschlossene Sicherheitsüberprüfung der Stufe 2 (NATO SECRET). Die ersten Tage waren mit zahlreichen PowerPoint-Präsentationen gefüllt, die durch die Anwendung schnellen Fachenglischs von Beginn an hohe Konzentration erforderten. In den Unterrichten wurden zunächst der Aufbau und die Anwendung von IED´s und grundlegende IED-Gegenmaßnahmen ausgebildet, um das vorausgesetzte Know-how wieder aufzufrischen. Unter anderem zählten IED-Awareness [...] und der Einsatz von Störern (Electronic Counter Measures) zu den Ausbildungsinhalten. Fast alle Lehrgangsteilnehmer sowie die Ausbilder hatten bereits eigene Erfahrungen in Irak oder Afghanistan gesammelt, sodass die Pausen mit interessanten Gesprächen gefüllt werden konnten. Ab Mitte der ersten Woche verlegten wir einige Male in den an die Kaserne grenzenden Übungsraum. Hier bekamen wir mehrere Lehrvorführungen zu sehen, durch die wir uns ein Bild davon verschaffen konnten, wie und mit welchen Mitteln Ausbildungen zweckmäßig durchgeführt werden können. Vor dem Wochenende wurde der Hörsaal in zwei Züge und diese in jeweils zwei Gruppen unterteilt. Jeder Lehrgangsteilnehmer erhielt ein Thema für eine in der folgenden Woche durchzuführende Lehrprobe. Für deren Vorbereitung war das Wochenende vorgesehen. Einige ließen es sich dennoch nicht nehmen, sich mit Mietwagen in Richtung Adriaküste zu begeben und die beeindruckende kroatische Kultur und Landschaft zu genießen. Da das Wetter überwiegend mitspielte, stellte sich bei dem ein oder anderen sogar ein kleines Urlaubsgefühl ein. Die zweite Lehrgangswoche wurde komplett durch die Lehrgangsteilnehmer geplant, organisiert und durchgeführt. Fahrzeuge, Waffen, Munition und Funkgeräte standen hierfür jeden Tag in ausreichender Anzahl zur Verfügung. Mit Hilfe der vor Ort stationierten Pioniere konnten die IED´s während den Patrouillen sehr gut und einsatznah dargestellt werden. Fast jeder Wunsch konnte durch die Unterstützungstruppe erfüllt werden. Die Sprengungen erfolgten oft in Pfützen oder Gewässern und teilweise auch sehr nah an der übenden Truppe. Auf Grund der in Deutschland bestehenden Sicherheitsbestimmungen wäre dies hierzulande nur schwer umsetzbar.
Fachlicher Fokus Nach Angaben der Ausbilder sind derzeit [Mitte/Ende 2010] 70 bis 80 Prozent der Ausfälle auf Seiten der Alliierten in Afghanistan durch IED´s bedingt. Praktisch erscheint für die auszubildende Truppe daher vor allem das korrekte taktische Verhalten nach einem IED-Anschlag relevant. Elementare Grundlagen hierfür sind der 5/25- und der VP-Check. Deren Ablauf stellt sich wie folgt dar: [...] Nach einem IED-Anschlag auf einen Konvoi bzw. eine Patrouille gilt es, folgende (idealtypische) Verhaltensregeln zu berücksichtigen: [...] Die hier geschilderten Abläufe stellen idealtypische Reaktionen auf einen IED-Anschlag dar. In der Realität können sich die Szenarien durchaus anders darstellen. Bspw. sind der Einsatz von Close Air Support, von Artillerie oder auch die Unterstützung durch Reservekräfte möglich. Hervorzuheben ist in jedem Falle, dass nach einem IED-Anschlag die Sicherung Vorrang vor der Hilfeleistung hat. Die Gefährdung durch anschließende Feuergefechte sowie weiterer Sprengfallen sollte in keinem Falle unterschätzt werden. Insbesondere ist darauf zu achten, dass jeder ständig den Grundsatz der 360-Grad-Sicherung beachtet. Erfahrungsgemäß sind nach einem Anschlag viele Soldaten intuitiv auf die Situation an der Anschlagstelle fokussiert. Für diese Problematik müssen die für den Einsatz geplanten Kräfte bereits in der Ausbildung von Beginn an sensibilisiert werden. Im Falle von Secondary IED´s beginnt der geschilderte Phasenablauf von vorn. In diesem Zusammenhang darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Insurgents in Afghanistan ihre Vorgehensweise laufend den eigenen Schutzmaßnahmen anpassen. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, flexible Taktiken anzuwenden, alternative Vorgehensweisen einzuüben und gem. dem Grundsatz Don´t set patterns Vorsicht bei routinemäßigen Abläufen walten zulassen.
Fazit Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Counter-IED »Train the trainers«-Lehrgang in Kroatien qualitativ hochwertig und insbesondere durch die einsatzerfahrenen und thematisch sattelfesten Ausbilder sehr gewinnbringend war. Die eigenen Englisch-Kenntnisse konnten aufgefrischt werden, es wurden Ausbildungsmöglichkeiten zum Umgang mit IED´s aufgezeigt und es konnten Erfahrungen mit anderen Nationen ausgetauscht werden. Hervorzuheben sind außerdem die kroatischen Pioniere, die trotz kleinerer organisatorischer Defizite, die vorrangig durch die erstmalige Lehrgangsdurchführung im jungen NATO-Mitgliedsstaat Kroatien bedingt waren, klar erkennbar um das Wohlergehen der Lehrgangsteilnehmer bemüht waren und sich engagiert um alle kleineren und größeren Probleme kümmerten.
Ergänzende Informationen Mittlerweile gibt es eine unüberschaubare Fülle an Ausbildungsmaterialien, Weisungen und Leitfäden für den Umgang mit IED´s. Als positive Beispiele hierfür sind die [...] zu nennen. Das im April 2010 in Dienst gestellte »Informationszentrum Counter-IED« in Grafschaft, Rheinland-Pfalz ist die zentrale Ansprechstelle für die Bereitstellung von Daten und Informationen zu C-IED in der Bundeswehr. Das Zentrum soll auch weitere relevante Dienststellen und Organisationen – auch außerhalb der Bundeswehr – miteinander vernetzen und aus den gewonnenen Informationen Empfehlungen für geeignete Schutz- und Gegenmaßnahmen erstellen.
Folgerungen aus Sicht Kompaniechef Unter dem Eindruck des Lehrganges und in Vorbereitung auf den Einsatz als 2./AusbSchBtl KDZ (Ausbildungs- und Schutzkompanie) in Afghanistan habe ich als Kompaniechef pro Zug einen C-IED Spezialisten (im Dienstgrad Oberfeldwebel) bestimmt, der in allen diesbezüglichen Fragen erster Ansprechpartner seiner Teileinheit ist und sich, wann immer möglich, selbst weiterbildet bzw. weitergebildet wird. Er soll den Teileinheitsführern zur Seite stehen und sie in allen C-IED spezifischen Fragen und Ausbildungsvorhaben beraten bzw. diese selbst durchführen.
_________________________________________________________________________
Autoren: Marcel Bohnert, Christiane Otto
erschienen in: Der Panzergrenadier, 28, 2010, Seiten 25 bis 28
Der Beitrag wurde gekürzt, da er Passagen zur detailgenauen Beschreibung von Abwehrmaßnahmen gegen Sprengfallen enthält.
Website gratis erstellt mit Web-Gear
Verantwortlich für den Inhalt dieser Seite ist ausschließlich der Autor dieser Webseite. Verstoß anzeigen